Bahn frei für die Phagenforschung
Nadiia Pozhydaieva-Weber erhält den MarBINa-Preis
Die Nachwuchswissenschaftlerin Dr. Nadiia Pozhydaieva-Weber hat am Max-Planck-Institut in Marburg eine Methode entwickelt, mit der sich Bakteriophagen leichter untersuchen lassen. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für biotechnologische und medizinische Anwendungen. Für diese Leistung überreichte ihr Marburgs Oberbürgermeister Dr. Thomas Spies am 11. März den Marburger Förderpreis für Bio- und Nanotechnologie 2024.

Wenn Bakteriophagen ihren Wirt, die Bakterie, befallen, programmieren sie dessen Zellapparat auf komplexe Weise um. In Folge produziert die Bakterienzelle in „unfreiwilliger Auftragsarbeit“ zahlreiche Virus-Nachkommen. Die Bakterie stirbt ab, die Viren werden freigesetzt und der Zyklus beginnt von neuem. Dabei kann ein Bakteriophage die Bakterienzelle schneller abtöten als ein Antibiotikum.
Nicht nur im Hinblick auf medizinische Anwendungen ist die Phagenforschung interessant, auch könnte das genaue Verständnis des Infektionsgeschehens wichtige Einblicke in die Regulation zellulärer Prozesse geben. Doch ist über den Infektionsprozess noch wenig bekannt, denn die DNA der Phagen ist für molekulare Methoden schwer zugänglich: Molekulare Anhängsel schützen sie wie ein „Schreibschutz“ vor der bakteriellen Abwehr.
Dr. Nadiia Pozhydaieva-Weber entwickelte in ihrer Doktorarbeit in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Katharina Höfer eine Methode, um diese Barriere beim T4-Phagen zu überwinden. Mit Hilfe eines Enzyms, das auch in menschlichen Zellen vorkommt, konnte sie den Schreibschutz entfernen, ohne den Infektionsprozess zu stören. Mit ihrer Methode können Forscherinnen und Forscher nun weltweit mit molekularen Methoden wie der Genschere CRISPR-Cas den Infektionsprozess von Bakterienviren besser untersuchen. Dafür wurde die Forscherin nun mit dem MarBINa-Preis geehrt, dem Marburger Biotechnologie- und Nanotechnologie-Förderpreis 2025 der Initiative für Bio- und Nanotechnologie e.V. (IBiNa).
Der Forschungserfolg ist das Ergebnis eines langen Weges, der auch mit Rückschlägen verbunden war. Auch Nadiia Pozhydaieva-Weber wollte zu Beginn ihrer Arbeit die Genschere CRISPR-Cas einsetzen, um über genetische Veränderungen die Rolle eines bestimmten Enzyms im Infektionsprozess aufzuklären. „In vielen Organismen funktioniert CRISPR-Cas effizient, aber bei Phagen war die Erfolgsquote enttäuschend gering“, erinnert sich die Forscherin.
Die Lösung aus der Eukaryonten-Zelle
Das Forscherteam entwickelte einen neuen Ansatz: Anstatt die Zuckerhülle direkt zu entfernen, wofür kein geeignetes Enzym gefunden werden konnte, konzentrierten sich die Forschenden auf eine molekulare Grundlage der Zuckerhüllen-Bildung, nämlich das Anheften von Methylgruppen an der DNA. Dabei ließen sie sich von eukaryotischen Zellen inspirieren, wo so genannte TET-Dioxygenasen die DNA-Methylierung regulieren. Tatsächlich gelang es Nadiia Pozhydaieva-Weber mithilfe dieses Enzyms, die DNA-Methylierung zu verhindern und damit die Phagen-DNA erstmals für die CRISPR-Cas-Mutagenese zugänglich zu machen. „Als es endlich funktionierte, war das ein unglaublicher Moment“, sagt die Forscherin. Parallel dazu erforschte sie mit ihren Teamkolleginnen und –kollegen in einem sogenannten „Multi-Omics“-Ansatz das Infektionsgeschehen in genauer zeitlicher Auflösung. Dabei gelang dem Team die Erstellung eines Profils der Gesamtheit der Proteinen (=Proteomics) und Transkripten (=Transcriptomics) im Zeitverlauf der Infektion.
Gefördert wurde die Promotionsarbeit durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen eines Schwerpunktprogramms zur Phagenforschung (SPP 2330), was ihr auch geholfen habe, das Fachgebiet für sich zu erschließen und ein Netzwerk für die Zukunft aufzubauen, sagt die Forscherin. Rückblickend ist sie dankbar für die Teamarbeit und das Mentoring. „Dank meiner Betreuerin Katharina Höfer und unserer tollen Gruppe habe ich nie die Motivation verloren. Ich musste zu Beginn meiner Doktorarbeit viel Neues lernen. Katharina Höfer bin ich unglaublich dankbar für ihre Betreuung und Begleitung. Der Zusammenhalt, die gegenseitige Unterstützung, der rege Austausch und auch die tolle Arbeit meiner Studentinnen und Studenten - viele Menschen haben zu diesem Erfolg beigetragen.“
Über die CRISPR-Cas-basierte Editierung der Erbinformation des Phagen hinaus bietet die neue Methode eine nicht-invasive Möglichkeit, die Auswirkungen von DNA-Modifikationen auf die Biologie von Phagen zu untersuchen. Wissenschaftler können Phagen-Bakterien-Interaktionen nun genauer analysieren und Phagengenome mit bisher unerreichter Effizienz verändern. „Die Resonanz aus der Wissenschaft ist positiv. Unsere Arbeit weckte bereits das Interesse von Forschenden, die mit unserer Methode die Rolle von DNA-Modifikationen bei Phageninfektionen untersuchen“, sagt Nadiia Pozhydaieva-Weber, die inzwischen als Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Stan Brouns an der Delft University of Technology arbeitet.
Mit Phagenforschung gegen Antibiotika-Resistenz
Phagen sind nach wie vor ihr Thema, aber der Fokus liegt jetzt mehr auf der bakteriellen Immunität und damit mehr auf möglichen Anwendungen. Bakteriophagen gelten im Rahmen der „Phagentherapie“ als vielversprechende Alternative zu Antibiotika, insbesondere gegen antibiotikaresistente Bakterien. „Die Phagentherapie ist nicht einfach anzuwenden, da Bakterien über eigene Abwehrmechanismen verfügen und Resistenzen entwickeln können“, erklärt Nadiia Pozhydaieva-Weber. "Aber wenn wir verstehen, wie sich Bakterien auf natürliche Weise gegen Phagen wehren, können wir bessere Strategien entwickeln, um ihre Immunität zu überwinden.“
Die Marburger Förderinitiative IBiNa e.V. lobt seit 2014 jährlich einen Wettbewerb für junge Wissenschaftler*innen aus. Prämiert werden Arbeiten,
• die einen engen Bezug zu Marburg und der umgebenden Region aufweisen
• deren Erkenntnisgegenstand auf biotechnologischen oder nanoskaligen Komponenten basiert
• die eine grundsätzliche technische und ökonomische Umsetzbarkeit eröffnen
• die zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen.
Mehr Informationen unter https://www.initiative-biotechnologie.de/marbina-foerderpreis.html