Synthetisch und schnell
Forschende entwickeln eine neue Variante des besonders schnell wachsenden Bakteriums Vibrio natriegens
Vibrio natriegens, das Bakterium mit der höchsten bisher bekannten Teilungsrate, verteilt sein Erbgut auf zwei Chromosomen. Ist das der Grund für sein schnelles Wachstum? Nein, sagen Forscherinnen und Forscher des Max-Planck-Instituts für terrestrische Mikrobiologie und des Zentrums für Synthetische Mikrobiologie der Philipps-Universität Marburg. Sie haben mit Hilfe der Synthetischen Biologie einen neuen Stamm mit nur einem Chromosom entwickelt. Er könnte in Zukunft Forschung und Anwendung vereinfachen und ist dabei genauso schnell.
Wer schnell ist, ist im Vorteil - das gilt auch für die Vermehrung von Zellen. Hier ist die Vervielfältigung der DNA ein geschwindigkeitsbestimmender Schritt. Deshalb haben manche Bakterien Tricks entwickelt, um diesen Prozess zu beschleunigen. In der Regel kopieren Bakterien ihre Chromosomen von einem einzigen Startpunkt aus (dem sogenannten Replikationsursprung) in zwei Richtungen, mit einer Kopiergeschwindigkeit von etwa 1000 DNA-Bausteinen pro Sekunde. E. coli, das bekannte Arbeitstier der Mikrobiologie, lässt seine Replikationszyklen außerdem noch überlappen. Das spart mehr als die Hälfte der Zeit, weil Tochterzellen mit bereits kopierten Chromosomen entstehen. So kommt das Bakterium auf eine Verdopplungszeit von 20 Minuten.
Doch einer ist noch viel schneller: Vibrio natriegens heißt das Bakterium mit der bisher schnellsten bekannten Wachstumsrate. Es kann sich in weniger als 10 Minuten verdoppeln. Die kurze Verdopplungszeit macht Vibrio natriegens nicht nur zu einem Kandidaten für biotechnologische Anwendungen, sondern auch als Modell für die Grundlagenforschung interessant.
Das Bakterium hat einige besondere Eigenschaften. Es liebt hohe Salzkonzentrationen und lebt unter anderem in Küstengebieten. Im Gegensatz zu E. coli hat Vibrio natriegens sein Genom auf zwei Chromosomen aufgeteilt. Diese Eigenschaft teilt es mit seinem Verwandten Vibrio cholerae, der als Erreger der Cholera bekannt ist und sich ebenfalls sehr schnell vermehren kann - Vibrio natriegens aber ist fast doppelt so schnell.
Ist nun die Zweiteilung des Chromosoms der Trick, mit dem Vibrio seine Verdoppelung beschleunigt? Diese Frage hatten Forscherinnen und Forscher bereits bei Vibrio cholerae untersucht. Dort hatte die künstliche Verschmelzung der beiden Chromosomen tatsächlich zu einer Verlängerung der Verdopplungszeit geführt.
Die Gruppen von Daniel Schindler und Anke Becker nutzen Methoden der Synthetischen Biologie, um Prozesse in Mikroorganismen zu untersuchen. Indem sie vorhandene Gene neu anordnen, können sie Funktionen und Prozesse gezielt und kontrolliert untersuchen. „Wir wollten wissen: Ist die gleichzeitige Replikation von zwei Chromosomen bei Vibrio natriegens die Voraussetzung für seine Schnelligkeit?“ sagt Lea Ramming, die diese Fragestellung in ihrer Masterarbeit untersuchte. Mithilfe molekularbiologischer Techniken, Mikroskopie und umfangreicher Analytik entwickelten und charakterisierten die Forschenden einen neuen Stamm mit nur einem Chromosom. „Wir haben die Chromosomenarchitektur des Bakteriums so umgestaltet, dass die gesamte Replikation von einem einzigen Ursprung ausgeht“, sagt Daniel Stukenberg, Erstautor mit Lea Ramming, der das Projekt im Rahmen seiner Doktorarbeit bearbeitet hat.
Aufgrund früherer Arbeiten erwarteten die Forschenden eine längere Verdopplungszeit. Das überraschende Ergebnis: Trotz der Fusion war der Stamm genauso schnell wie der natürliche V. natriegens-Stamm. Dies deutet darauf hin, dass das geteilte Genom keine Voraussetzung für schnelles Wachstum ist.
Der neue Stamm kann nun als Ausgangspunkt für biotechnologische Anwendungen dienen, aber auch als Modell für die Grundlagenforschung zur Chromosomenbiologie schnell wachsender Bakterien. Darüber hinaus könnte V. natriegens ein alternatives Modellsystem zu Vibrio cholerae sein, dem derzeit am besten untersuchten Modellorganismus für zweiteilige mikrobielle Genome. Denn hier könnte die Chromosomenbiologie ohne Infektionsrisiko untersucht werden.
Mit den Methoden der synthetischen Biologie und der angewandten Forschung könnten die Forschenden nun ein zusätzliches synthetisches Chromosom in den Stamm einbauen. „Und schließlich könnte ein weiterer Vorteil darin bestehen, dass der Organismus in Salzwasser kultiviert werden muss. Dadurch kann Meerwasser als Medium verwendet werden, was die begrenzten Süßwasserressourcen entlasten würde, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel. Der Einsatz von V. natriegens in der biotechnologischen Produktion kann diese somit potenziell nachhaltiger gestalten. Insbesondere der Stamm mit den fusionierten Chromosomen könnte in Zukunft eine hervorragende Expressionsplattform werden“, sagt Daniel Schindler.