Tempolimit bei Bakterien

Gesetze der Physik können die Investitionsstrategien von Bakterien mitbestimmen

13. März 2025

Mikroorganismen müssen, wie alle Lebewesen, viele Aufgaben mit einem begrenzten Budget erfüllen. Um erfolgreich zu sein, muss man klug investieren und Risiko und Nutzen abwägen. Eine besonders teure Angelegenheit für Bakterien ist die Fortbewegung. Doch wie entscheiden sie, wie viel sie investieren? Forscherinnen und Forscher um Victor Sourjik vom Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie in Marburg haben herausgefunden, dass die Investition in schwimmende Fortbewegung letztlich durch die Physik der Umgebung begrenzt wird. Diese Entdeckung könnte helfen, besser zu verstehen, wie sich natürlich vorkommende Stämme von E. coli an ihren Lebensraum anpassen, insbesondere an den menschlichen und tierischen Darm.
 

Proteine sind die wichtigste Währung im zellulären Budget, da sie fast alle Funktionen tragen. Weil ihre Umgebung ständig wechseln kann, müssen Bakterien ihr Proteinbudget in ständig neu über konkurrierende Bedürfnisse verteilen. Das tun sie über die dynamische Regulation der Genexpression. Forschende unter der Leitung von Victor Sourjik haben sich zum Ziel gesetzt, die Mechanismen dieser feinen Steuerung zu entschlüsseln.

Eine der kostspieligsten Funktionen bei Bakterien ist die Fortbewegung. Schwimmende Bakterien besitzen mehrere lange, schraubenartige Geißeln, die von protonengetriebenen Motoren angetrieben werden. In Bündeln treiben sie die Bakterien wie Außenbordmotoren an. Die Fortbewegung ist für Bakterien wichtig, um diverse Lebensräume zu besiedeln. Sie kann jedoch bis zu 8% des gesamten Proteinbudgets in Anspruch nehmen, hauptsächlich für den Bau der Geißeln. Dies führt zu einem klaren Trade-Off zwischen Wachstum und Motilität. Während vorherige Studien hauptsächlich die Investition in Beweglichkeit in Abhängigkeit zum Wachstum untersucht haben, blieb bislang unklar, welche Faktoren die Obergrenze des Investitionsbudgets bestimmen.

Um das herauszufinden, haben die Wissenschaftler das Bakterium Escherichia coli so verändert, dass die Geißel-Gene noch stärker abgelesen werden können. Die so erzeugten Stämme investieren damit mehr in Beweglichkeit, als es die natürliche zelluläre Regulierung zulassen würde. Es zeigte sich, dass die Schwimmgeschwindigkeit trotz des Hinzufügens von mehr Geißeln letztlich begrenzt war.

„Wir fragten uns : auf welcher Ebene findet die Begrenzung statt? Denn unsere fluoreszenzmikroskopische und molekulargenetische Vergleiche zeigten uns, dass die Bakterien durchaus mehr Geißeln erzeugen können, und auch die Funktionalität dieser Geißeln nicht eingeschränkt war,“ erklärt Irina Lisevich, Erstautorin der Studie.

Um diese Frage zu beantworten, erstellten die Forschenden ein umfassendes mathematisches Modell der bakteriellen Fortbewegung, das zahlreiche Eigenschaften der Geißel und des Zellkörpers einbezog. Dieses Modell reproduzierte die gleiche Sättigung der Schwimmgeschwindigkeit, wie sie experimentell beobachtet wurde. "Sobald die Anzahl der Geißeln pro Zelle die des natürlichen E. coli-Stammes übertrifft, also vier bis fünf Geißeln, schwimmt die Bakterie trotzdem nicht schneller, da der viskose Widerstand zu hoch wird. Eine Übersteuerung der Expression der Geißel-Gene bietet den Bakterien keinen zusätzlichen Vorteil, sondern nur höhere Fitnesskosten," sagt Remy Colin, der zweite Autor der Studie, der das Modell entwickelte.

"Das ist unseres Wissens nach das klarste Beispiel dafür, wie Physik, in diesem Fall die Hydrodynamik, die Physiologie und Evolution der Genregulation bei Mikroorganismen bestimmen kann," sagt Victor Sourjik. „Das Thema der 'bakteriellen Ökonomie' hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Unsere Arbeit zeigt, dass wir den Einfluss physikalische Kräfte bei der Regulierung bakterieller Verhaltensweisen einbeziehen müssen. Das ist für zukünftige Forschungsansätze wichtig und könnte zu neuen Richtungen führen - zum Beispiel bei der Erforschung der Schwimmfunktionen natürlicher E. coli-Stämme, die oft Krankheitserreger sind, in ihrem natürlichen Lebensraum, dem menschlichen und tierischen Darm."

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