Was bringt Bakterien in Form?
Ein Protein bestimmt die Zellform von Bakterien und damit bakterielle Fähigkeiten
Bakterien kommen in vielen verschiedenen Formen vor, die eine wichtige Rolle für das Überleben in ihrer jeweiligen ökologischen Nische spielen. Wie sie ihre Zellform bestimmen, ist bisher in vielen Fällen trotz intensiver Forschung nicht bekannt. Forschende um Prof. Martin Thanbichler deckten den Mechanismus der Formgebung nun für spiralförmige Rhodospirillen auf und ermöglichen dadurch neue Einblicke in den Zusammenhang von Zellform und Fitness.
Stellen Sie sich eine Bakterie vor. Wie sieht sie aus – rundlich, oder stäbchenförmig? Tatsächlich sind Bakterien erstaunlich vielgestaltig. Neben den stäbchenförmigen Vertretern, wie dem Laborbakterium E. coli, gibt es zum Beispiel zahlreiche gekrümmte und sogar spiralförmige Bakterien. Das ist keine Laune der Natur: die Krümmung ist ausschlaggebend für die Fähigkeit der Bakterien, Oberflächen zu besiedeln, sich in zähflüssigen Umgebungen zu bewegen - und damit auch, Krankheiten auszulösen, wie es z.B. für Vibrio cholerae oder Helicobacter pylori der Fall ist. Forschende weltweit arbeiten daran, die molekularen Einzelheiten der Krümmung zu verstehen, um sie vielleicht einmal beeinflussen und so z.B. Krankheiten heilen zu können.
Das Bakterium Rhodospirillum rubrum: Spiralförmige Verteilung von PapS und Porinen in der Zellwand.
Nun liefern Forscherinnen und Forscher um Max-Planck-Fellow Martin Thanbichler, Professor an der Philipps-Universität Marburg, neue Einblicke in die Formgebung in dem photosynthetischen Bakterium Rhodospirillum rubrum. Diese Spezies ist in der Umwelt weit verbreitet und besitzt auch biotechnologisches Potenzial, da sie Kohlenmonoxid verwerten, Stickstoff fixieren und sowohl Wasserstoff als auch Bausteine für Bioplastik produzieren kann.
Die Forschenden fanden überraschenderweise, dass zwei sogenannte Porine – kanalartige Proteine, die üblicherweise nur für den Austausch von Nährstoffen über die äußere Membran der Bakterien verantwortlich sind – schraubenförmig in der äußeren Krümmung der Bakterienzellhülle angeordnet sind. Diese Strukturen sind über ein weiteres Protein, das Lipoprotein PapS, eng mit der Zellwand verbunden. Überraschend war: fehlte PapS, oder verhinderten die Forschenden dessen Bindung an die Porine, wurden die Zellen vollkommen gerade.
Doch warum ist PapS für die Zellkrümmung unerlässlich? „Offenbar haben die Porine im Lauf der Evolution neben dem Nährstoffaustausch eine zweite Funktion übernommen,“ erklärt Prof. Martin Thanbichler. „Sie kontrollieren zusammen mit PapS die Bewegung einer molekularen Maschine, die sich in kreisförmigen Bahnen um den Zellkörper bewegt, dabei in die bestehende Zellwand neues Material einbaut und so zu einer Zellverlängerung führt. In stäbchenförmigen Bakterien wie E. coli läuft dieser Prozess in allen Bereichen der Zelle gleichmäßig ab, so dass eine gerade Form zustande kommt. In Rhodospirillum hingegen bildet die schraubenartige Porin-PapS-Struktur durch seine dichte Packung eine Art molekularen Käfig. Dieser umschließt die Maschinerie, die für das Längenwachstum der Zelle verantwortlich ist, und fixiert sie dadurch teilweise in der äußeren Biegung der Bakterienzellwand. Auf diese Weise kommt es dort lokal zu einem verstärkten Wachstum, was zur Krümmung der Bakterienzelle führt.“
Die Studie, an der neben dem Marburger Team auch Forschende aus Kiel, Freiburg, England und Australien beteiligt waren, hat damit einen neuartigen Mechanismus der Formgebung in Bakterien aufgedeckt, der auf einem direkten Einfluss von Porinen auf die räumliche Kontrolle des Zellwachstums beruht. Die erhaltenen Erkenntnisse treffen wahrscheinlich für alle gekrümmten Mitglieder der Rhodospirillen zu. Die Forschenden wollen nun herausfinden, ob dieser Mechanismus auch bei anderen Bakteriengruppen mit komplexeren Zellformen Verwendung findet.
„Wir haben nun die Möglichkeit, die Zellform von Rhodospirillum rubrum gezielt zu verändern, und können so die selektiven Vorteile untersuchen, die ein spiraliger Zellkörper für Bakterien in der Umwelt hat“, erklärt Dr. Sebastian Pöhl, der Erstautor der Studie. Das könnte wichtige Hinweise darauf geben, wie sich die Zellform auf die Besiedelung ökologischer Nischen, das Eingehen symbiotischer Interaktionen mit Pflanzen oder auch das Verursachen von Krankheiten auswirkt.